Städte haben es an sich, dass jeder seinen eigenen Zugang zu ihnen findet – oder eben nicht.
Meine ersten Stunden in Paris sahen nicht so aus, als würde ich mit Frankreichs Hauptstadt Freundschaft schließen. Es ist zwanzig Jahre her. Ich hatte bei einem Radiosender ein Ticket für das Paris-Konzert von Bon Jovi gewonnen, inklusive Flug und Übernachtung. Als Fan war das natürlich eine große Sache, und dann noch in Paris? Juhu! Was für ein Glück!
Ich weiß noch genau, wie ich gemeinsam mit den anderen Gewinnern vor dem Hotel am Gare du Nord aus dem Taxi stieg – und Paris mich mit einem Keulenschlag traf. Es war laut. Es war schmutzig. Es stank. Kein Eiffelturm, keine Seine, kein Notre Dame oder irgend eine andere Sehenswürdigkeit. Nur Lärm und Abgase und Menschen. Und von allem viel zu viel.
Ich war entsetzt. Paris erschien mir hässlich, vulgär und schmuddelig, wie eine in die Jahre gekommene Hure.
Erst der Blick aus dem Fenster des Hotelzimmers änderte meine Sicht: Die Dächer mit ihren Schornsteinen in allen nur erdenklichen Größen und Formen, lang, kurz, dick, dünn, krumm und gerade, glänzten im Sonnenlicht. Was auch immer mich an diesem Anblick anrührte, plötzlich wusste ich, dass unter dem Makeup und den billigen Klamotten der alten Prostituierten Schönheit und ein riesengroßes Herz steckten. Und aus einem mir bis heute unbekannten Grund hat Paris ausgerechnet mich, die da allein und verlassen als kleines Menschenkind zum ersten Mal in einer Weltstadt stand, in dieses Herz geschlossen. Sie hat sich meiner angenommen, mich herumgeführt und mir Ecken und Winkel jenseits der üblichen Touristenwege gezeigt. Leben. Tragödien. Liebe. Tod. Sehenswürdigkeiten, die in keinem Reiseführer stehen.
Seit dieser ersten Reise bin ich oft in Paris gewesen – in großen Hotels, kleinen Pensionen oder Ferienwohnungen, mal am Stadtrand, mal mittendrin. Ich habe mittlerweile etliche der Touristenpunkte besucht: auf dem Eiffelturm war ich, im Musee d´Orsay, in der Orangerie, im Louvre natürlich auch. Ich bin mit winzigen Fahrstühlen zu meinem Hotelzimmer gefahren und habe mich ausgetretene Hinterhausstiegen zu Ferienwohnungen hochgeschleppt. Ich habe mehrere Paar Schuhe in den Pariser Straßen durchgelaufen und Stunden an den Ticketautomaten der Metro verbracht. Und jedes Mal, wenn ich da bin, ist es wieder das Gleiche: Mit einem Hüftschwung und einem Lächeln nimmt Paris mich an die Hand, verführt mich und erklärt mir das Leben.
Für jeden ist Paris anders. Und ich kann es gut verstehen, wenn jemand mit dieser Stadt gar nicht warm wird. Aber wenn es einen erwischt, dann für immer. Im Falle von Svenja, der Protagonistin aus meinem aktuellen Roman „Ein kleines Stück Paris“ öffnet sich ihr das Herz der Stadt über ihre acht Quadratmeter messende Wohnung unter dem Dach eines heruntergekommenen Hauses. Für mich sind es die Schornsteine. Neben vielen vielen anderen Kleinigkeiten.